Beschwerden als Chance: Warum “null Beschwerden” Dein Unternehmen gefährden.

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Themen dieses Beitrags: Customer Experience
Beschwerden als Chance für Unternehmen

Inhalt dieses Beitrags:

    Im April sagte der neu berufene Geschäftsführer für Kundenservice bei der Telekom, sein Ziel sei null Fehler und null Beschwerden. Null Fehler ist ein ambitioniertes Ziel mit unerwünschten Nebenwirkungen. Doch wie ist es mit null Beschwerden? Ist das überhaupt wünschenswert?

    Nein, ist es nicht. Denn Beschwerden sind Chancen. Auch wenn sie schmerzhaft sind. Nur so kannst Du Kundenerwartungen erfüllen.

    Und Reklamationen sind selten. Nicht alle Kunden, die unzufrieden sind, beschweren sich auch. Je nach Branche sind es zwischen 15 und 55% der Verbraucher. Du gibst ihnen noch eine Chance und hast Hoffnung, dass Dein Unternehmen das Problem lösen wird. Die anderen Kunden, die nicht reklamieren, verwehren Dir diese Möglichkeit. Sie ärgern sich trotzdem und sind vielleicht schon auf der Suche nach einer Alternative.

    Warum beschweren Kunden sich nicht?

    Reklamierst Du gerne? Ich nicht, obwohl meine Kundenerwartungen nicht erfüllt werden. Wie ich denken viele Menschen – aus verschiedenen Gründen. Wir haben gelernt, dass wir nicht meckern sollen. Wir haben wenig Lust darauf, uns wegen einer Beschwerde rechtfertigen zu müssen. Das passiert allzu oft. Ich höre bei einer Reklamation immer wieder „Sind Sie sicher? Es hat sich noch kein Kunde deswegen beschwert.“ Schon liegt der schwarze Peter bei mir. Andere denken nicht, dass eine Beschwerde etwas ändern wird. Sie fühlen sich dem Lieferanten oder Händler ausgeliefert. Oder sie haben gar Sorge, dass sie schlechter behandelt werden, weil sie unbequem sind.

    Wer sich beschwert, stört die Stimmung. Bei sich und auch bei anderen. Deswegen sagen wir im Restaurant fast alle, es habe wunderbar geschmeckt. Auch wenn es dürftig war. Denn niemand will einen gemütlichen Abend verderben.

    Die Kunden, die sich trotzdem an Dich wenden, haben also eine Hürde überwunden. Die Zweite war, Deine Telefonnummer zu finden, einen Kaufbeleg zu suchen und eine E-Mail zu formulieren. Insbesondere das Schreiben fällt vielen Menschen schwer.

    All das bewirkt, dass die Kunden angespannt sind, wenn sie Kritik äußern. Sie rechnen mit Gegenwind, denn sie wissen, wie unangenehm es ist, eine Reklamation zu erhalten. Und sie erleben Widerstand, denn das ist die natürliche Reaktion auf einen Angriff.

    Wenig Beschwerden = tolle Qualität?

    Firmen, die wenig Beschwerden erhalten, sind meist stolz auf Ihre Qualität. Doch stimmt das auch? Machen wir mal eine kurze Rechnung auf:

    Bei Stromversorgern beschweren sich nur 2% der Kunden, bei Autowerkstätten hingegen 6%. Sind Werkstätten also dreimal schlechter? Mitnichten, denn bei ihnen äußern sich 55% der verärgerten Kunden, bei Stromlieferanten aber nur 16%. Die Dunkelziffer ist bei Stromanbietern also viel höher und unzufrieden ist bei beiden etwa ein gleicher Anteil der Kunden (11% versus 13%). Die Stromversorger können sich also nicht in den wenigen Reklamationen sonnen.

    Probleme verschwinden nicht, wenn wir den Kopf in den Sand stecken. Vor den Kundenerwartungen und den Wünschen unserer Kunden verschließen wir nämlich gerne die Augen.

    Beschwerden als Chance

    Der Service-Chef der Telekom macht einen Denkfehler: Reklamationen beruhen auf Fehlern im Unternehmen. Keine Fehler, keine Reklamationen. Er übersieht dabei, dass Beschwerden durch enttäuschte Erwartungen entstehen. Sie geben Dir die Chance, durch die Brille der Kunden zu schauen und Kundenerwartungen langfristig zu erfüllen.

    Kunden reklamieren nicht nur wegen Problemen, wie kaputten Produkten oder verlorenen Lieferungen. Sie beschweren sich auch, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Die Hose ist dunkler, als sie auf der Webseite wirkte – das kann am Monitor des Kunden liegen. Oder die Kamera ist schwieriger zu bedienen, als die Kundin sich erhofft hat. Das Handy ist zu langsam. Klar, jetzt denkst Du: Ich kann doch nicht beeinflussen, was die Menschen erwarten. Doch, das kannst Du – vor allem kannst Du daraus lernen.

    Eine Reklamation ist ein Grund, das eigene Marketing zu hinterfragen. Haben wir zu viel versprochen? Haben wir das Produkt falsch positioniert? Frage Dich auch: Welche Probleme möchten die Kunden lösen? Oder welche Bedürfnisse wollen sie erfüllen? Können wir das leisten? Sicher? Gibt es Interessenten mit einem anderen Problem, das wir nicht lösen können? Und wie stellen wir das im Marketing und Vertrieb dar? Auf manchen Webseiten lese ich „Dieses Produkt ist nicht für Sie geeignet, wenn …“. Das finde ich klasse, denn das hat mir schon manche Enttäuschung erspart.

    Eine Reklamation zeigt Dir auch, wie das Angebot Deiner Mitbewerber bei den Kunden ankommt. Was finden sie toll? Würden sie wechseln, wenn wir das nicht anbieten? Werden wir abgehängt? Der Markt verändert sich ständig und Deine Produkte müssen sich mitentwickeln. Die Menschen haben immer neue Probleme und Wünsche, für die sie eine Lösung suchen. Deswegen kaufen sie etwas ein und versuchen es, für Ihre Bedürfnisse zu benutzen. Wenn sie sich dann enttäuscht mit Fragen an Deinen Kundenservice wenden, ist die Beschwerde eine Chance, von neuen Problemen und Wünschen zu lernen.

    Reklamationen sind immer auch Marktforschung. Nicht systematisch mit einer repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung, aber dafür bei Deinen Kunden. Denen, die bei Dir kaufen, die Dir also wohl gesonnen sind. Sie sind neben den Beschäftigten die wichtigsten Menschen für Dein Unternehmen.

    Kundenerwartungen durch Inspiration aus Beschwerden erfüllen

    Lass Dich von Beschwerden inspirieren. Überarbeite Deine Produkte und die Produktbeschreibung. Stelle klar heraus, wofür sie sich eignen und wofür nicht. Bekomme Ideen für ein neues Angebot. Verbesser Deine Prozesse und Deinen Service und erfülle so Kundenerwartungen.

    Änder’ aber nicht wahllos. Triff immer eine strategische Entscheidung: Was machen wir und was nicht? Nicht alles, was Deine Kunden sich wünschen, musst Du umsetzen. Manches wird nicht zu Deinem Produkt passen. Dann ist es in Ordnung, das nicht zu machen. Wichtig ist nur, dass es eine bewusste Entscheidung ist, und nicht durch Blindheit gegen den Markt entstanden ist. Und dass Du bereit bist, Deine Einschätzung immer wieder zu überprüfen. Denn sonst kann es Dir passieren, dass Du abgehängt wirst. Dann wird es für Dein Unternehmen gefährlich. Wie für Nokia, Blackberry (RIM) und Kodak. Sie waren blind und taub für die Wünsche der Kunden.

    Beschwerdestimulierung: Mache es einfach, sich zu beschweren

    Ich erlebe immer wieder, dass Unternehmen sich vor den Kunden verstecken. Bis ich die Telefonnummer oder E-Mail-Adresse des Kundenservice gefunden habe, suche ich lange. Denn das Marketing hat bei der Gestaltung der Webseite andere Prioritäten. Auf diese Weise lässt sich die Beschwerdequote natürlich senken. Aber die Dunkelziffer der unzufriedenen Kunden steigt.

    Manche Unternehmen wollen nur per E-Mail oder Webformular kontaktiert werden (und schicken dem Kunden keine Kopie dessen zu, was er über das Formular geschickt hat). Das ist unbequem und schreckt einige Kunden ab. Jene, die selten schreiben, finden nicht die passenden Formulierungen. Es ist ihnen peinlich, wie sie nach Worten suchen. Da verzichten sie lieber auf ihr Recht.

    Mache es anders! Ein Link zur Kontaktseite gehört sofort sichtbar in den Kopf der Webseite. Lasse die Kunden entscheiden, welchen Beschwerdekanal sie nutzen wollen: Telefon, E-Mail, Kontaktformular oder sogar Live Chat, Twitter und Facebook. Innovative Tools, wie z.B. die telegra INBOX helfen dabei, Ihre Kontaktkanäle effizient zu managen. Baue keine Mauern aus AGBs und Regeln. Gestalte Deine Produktgarantie so, dass man sie mit vertretbarem Aufwand beanspruchen kann.

    Mache es für Deine Beschäftigten einfach Kundenerwartungen zu erfüllen

    Ich habe schon erlebt, dass Mitarbeiter im Hintergrund enorme Arbeit mit Beschwerden hatten. Sie brauchten Genehmigungen von einem Produktmanager und bettelten bei der Qualitätskontrolle um Antworten. Sie mussten die Kunden vor den Kollegen verteidigen. Die Produktmanager klagten, die Service-Mitarbeiter erklärten das Produkt nicht gut genug. Das Ergebnis? Eine Beschwerde wurde zur Last. Nur überaus engagierte Beschäftigte nahmen das auf sich. Und nur hartnäckige Kunden hielten das durch.

    Mache es einfach. Fahnde nicht nach Schuldigen. Sonst werden die Beschäftigten Reklamationen verschweigen und unter der Hand eine Lösung für die Kunden suchen, um die Kundenerwartungen zu erfüllen. Oder sie blocken Beschwerden ab, um nicht unter Druck zu geraten. Sie schützen sich selbst. Das Unternehmen verliert dadurch eine Möglichkeit zu lernen.

    Bedanke Dich bei den Kunden für eine Beschwerde. Denn sie ist eine Chance, besser zu werden. Reklamationen sind schmerzhafte, aber notwendige Impulse, sich an die Erwartungen der Kundschaft anzupassen. Ohne sie fliegst Du blind in unbekanntem Gelände. Deswegen ist das Ziel „null Beschwerden“ gefährlich.

    Über Wiebke Wetzel

    Wiebke Wetzel

    Wiebke Wetzel ist Customer Experience Trainerin und bereichert den telegra Blog exklusiv mit ihren Artikeln rund um das Thema Kundenservice. Als Kundenzauberin schreibt sie aus ihrer Sicht als langjährige Managerin im Servicebereich auch in ihrem eigenen Blog: Wer also mehr von ihr lesen oder hören will (sie bietet auch einen Podcast an), sollte mal bei ihr vorbeischauen.

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